Eigentlich war es ein herkömmlicher Dezember-Sonntag in Deutschland. 3. Advent, in vielen Haushalten stellte sich die vorweihnachtliche Besinnlichkeit ein. Doch dann brannten nicht nur die Kerzen am Adventskranz, sondern auch das Internet lichterloh. Ein einziger Instagram-Post reichte aus, um ganz Twitter-Deutschland vom Sonntagsbraten abzulenken. Klima-Aktivistin Greta Thunberg gegen die Deutsche Bahn – was war da los?
Am Samstagabend twitterte Thunberg, auf dem Weg von Basel nach Hamburg, ein Bild. Zu sehen: Sie, auf dem Boden des Gangs ihres ICEs, umringt von ihrem Gepäck. Caption: „Unterwegs in überfüllten Zügen durch Deutschland. Und ich bin endlich auf dem Weg nach Hause!” Also im Grunde nicht allzu spektakulär, solcherlei Bilder werden tagtäglich zigfach auf Instagram veröffentlicht. Aber wenn die wahrscheinlich bekannteste Klima-Aktivistin unserer Zeit und damit eine der größten Advokaten für öffentlichen Nahverkehr ein solches Bild postet, gibt es zwei Möglichkeiten: A) eine tolle Möglichkeit für mein Unternehmen, welches öffentlichen Nahverkehr anbietet oder B) eine Gelegenheit, sich mit einer 16-Jährigen anzulegen und diverse Grundlagen der Öffentlichkeitsarbeit in den Fahrtwind zu schmeißen. Wie wir alle wissen, entschied sich die Deutsche Bahn für Antwort B.
Traveling on overcrowded trains through Germany. And I’m finally on my way home! pic.twitter.com/ssfLCPsR8o
— Greta Thunberg (@GretaThunberg) December 14, 2019
Selbst hocheskaliert
Zur Verteidigung der Bahn muss man hier erwähnen, dass die erste Reaktion deutlich gemäßigter ausfiel. Sonntagmorgen gab es ein einfaches „Wir wünschen #Greta eine gute Heimfahrt. Und arbeiten weiter hart an mehr Zügen, Verbindungen und Sitzplätzen.“ Auf den Punkt, sympathisch und Probleme eingestanden. Hätten man es dabei belassen, wir hätten uns alle gemütlich vor Netflix gehauen, Spekulatius gemampft und regulär gesonntagt. Doch am Mittag schaltete die Deutsche Bahn in einen ganz anderen Gang und wollte das Im-Gang-sitzen-Foto nicht auf sich sitzen lassen.
Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist. #Greta 2/2
— Deutsche Bahn AG (@DB_Presse) December 15, 2019
Eine Reaktion, mit mehr problematischen Ebenen als Diablo-Dungeon. Das größte Problem: Thunberg antwortete, dass ihr reservierter Sitzplatz verfallen war, weil der Zug zwischen Basel und Freiburg ausfiel. Bedeutete: 5 Stunden Gangplatz, in denen das Foto entstand. Twitter-User witzelten (twitzelten?), dass die Bahn nicht einmal wusste, wo ihre Züge sind. Zudem betonte Thunberg an dieser Stelle auch, dass sie mit ihrem Bild gar keine Kritik aussprechen wollte. Ein weiterer kritischer Punkt bei der Antwort der Deutschen Bahn: In ihrem Tweet wurde die genaue Zugnummer genannt. Aus Datenschutz-Gesichtspunkten und DSGVO-technisch, sagen wir mal: „unsauber”. Inzwischen hat die Berliner Datenschutzbeauftragte angekündigt, sich mit dem Fall zu beschäftigen. Rechtsanwalt Christian Solmecke hat sich bereits mit der Thematik auf seinem Youtube-Kanal auseinandergesetzt:
Ticket für den Shitstorm gezogen
Der Tweet war aber nicht nur in der Form und im Ausdruck ein Schuss in den Dampfkessel. Denn mit dieser Reaktion fuhr die Bahn ein in den Hauptbahnhof von Shitstorm City. Eigentlich ohne Not. Witze über ausgefallene Züge und überfüllte Wagons muss sie jeden Tag über sich ergehen lassen. Doch wie hätte die geeignete Reaktion aussehen können? Die simple Antwort: Die Deutsche Bahn hatte sie bereits gegeben. Mit dem morgenlichten Tweet hatte man routiniert und gut reagiert. Am sonst eigentlich nachrichtenarmen Sonntag hätte es noch ein paar Memes in den Netzwerken gegeben und die Sache hätte ihre Endstation erreicht. So aber bestimmte auch am Montag #GretaGate die Konversation. Die Zeit zwischen den beiden Tweets lässt darauf schließen, dass hier viele Zugführer in der Kabine saßen. Die morgendliche Antwort kam vom Social-Media-Team, für die mittägliche Antworten wurden dann wahrscheinlich noch ein paar Kompetenz-Wagons angedockt und mehr Mitarbeiter an Bord geholt. Denn es wurde zusätzlich auch eine Pressemitteilung verfasst, die die „Anschuldigungen”, die keine waren, entkräften sollten.
Mit der Relevanz und der Reichweite, die Greta Thunberg für die Deutsche Bahn eigentlich darstellen könnte, wurde hier eine Chance liegen gelassen. Defensiv und kratzbürstig zu reagieren war die denkbar schlechteste Reaktion.
Einschätzung